Ein „kleines Gefühl“ dafür, wie es Flüchtlingen geht, die Einlass in ein sicheres Land begehren, will die Sozialpädagogin Michaela Pawlik vermitteln. Deshalb hat die Ehrenamtlerin in der Köln-Longericher Gemeinde Christ König eine Schulung entwickelt für Menschen, die vor Ort eine Willkommenskultur für ihre neuen Nachbarn aufbauen wollen.
Von Ulrike Weinert
„Oje, jetzt habe ich meinen Einreisepass verloren.“ Ilse Brans springt auf von der Holzbank im Flur und kramt nervös in ihren Taschen. Ohne Erfolg. Radebrechend in Fremdsprachen, wendet sie sich an eine vorbeihuschende Behördenmitarbeiterin. Die barsche Antwort versteht sie nicht.
Wenig später wird Ilse Brans wenigstens mit einer eindeutigen Handbewegung ins Büro beordert. Da hält sich bereits eine andere Antragstellerin auf. Die füllt Formulare aus, mit gesenktem Kopf und verkniffenem Mund. „Peso“, versteht Frau Brans. Geld soll sie also vorlegen, denkt sie. Aber nein, sie soll ihr Gewicht angeben und noch 15 Prozent draufrechnen. Peinlich vor der anderen Person im Raum. Und warum legt das Land Babilonia, in das sie Einlass begehrt, auf diese Angabe Wert? Ilse Brans sinkt in sich zusammen, sie zieht die Brille ab, wischt sich über die Augen. Dass sie schließlich einen neuen Pass bekommt, erleichtert sie nicht wirklich, als sie wieder draußen auf dem Flur steht. So viele Türen – in welchem Büro muss sie als nächstes vorsprechen?
Die Rentnerin gehört zu den Teilnehmern der Fortbildung „Von böhmischen Dörfern zum gemeinsamen Verstehen“ für Menschen, die in ihrem Stadtteil eine Willkommenskultur für Flüchtlinge aufbauen wollen. Ehrenamtlich bietet die Sozialpädagogin Michaela Pawlik das von ihr entwickelte Seminar in ihrer katholischen Kirchengemeinde an. „Ein ganz kleines Gefühl dafür bekommen, wie es Flüchtlingen geht“, erklärt sie, sei immerhin mit dem Rollenspiel „Babilonia“ zu erreichen.
Wie viele andere Hilfswillige hat Ilse Brans erkannt, dass sie selbst fachlichen Beistand braucht für den richtigen Umgang mit den neuen Nachbarn. „Ich wohne in der Nähe eines Flüchtlingsheims und war so naiv zu denken, ich könnte einfach hingehen und einige Frauen mit ihren Kindern zu mir einladen“, erzählt sie. Um das „ganz kleine Gefühl“ zu vermitteln, hat sich Michaela Pawlik für ihr Schulungsangebot Berufskollegin Ghalia El Boustami dazu geholt. Außerdem bittet sie eine Teilnehmerin, in die Rolle einer Behördenmitarbeiterin zu schlüpfen, die Flüchtlinge für schlecht bezahlte Jobs rekrutiert. Konsequent sprechen alle drei „Bedienstete“ Fremdsprachen, die keiner der anderen Teilnehmer gut beherrscht.
Jeder weiß, es ist nur ein Spiel. Dennoch macht sich bald Hilflosigkeit breit vor den Schranken von Babilonia. Sogar einer selbstbewusst auftretenden Teilnehmerin scheint die unüberschaubare Situation unter die Haut zu gehen. „Weil ich angeblich Urkunden gefälscht habe, wurden meine sämtlichen Dokumente eingezogen“, berichtet sie anderen Wartenden auf dem Flur.
Aber auch die Darstellerin der Arbeitsvermittlerin fühlt sich unbehaglich. „Ich wurde nicht eingearbeitet, bekam nur Vorgaben, die ich erfüllen musste, und ich spürte Druck“, erzählt sie hinterher. Ebenso wie für die Flüchtling bekunden die Teilnehmer nach ihren Rollenspielerfahrungen Verständnis für diejenigen, die auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzen. „Wenn die Behördenmitarbeiter jedes Schicksal an sich heranlassen, würden sie auf Dauer ausbrennen.“