
Saddam Hairiri sitzt auf seinem Balkon, plötzlich rattert und scheppert es ganz laut: Die Wuppertaler Schwebebahn fährt drei Meter von seinem Balkon entfernt vorbei – alle zwei Minuten. Doch für Saddam Hairiri ist das nicht etwa lästig, im Gegenteil: Für den 26-Jährigen bedeutet das Geräusch ein Stück Freiheit. Freiheit, die er in seiner Heimat Syrien nicht hatte.
Von Jana Banse
Im Jahr 2011 entscheidet sich Saddam Hairiris Familie zur Flucht. Die Bedingungen unter dem syrischen Präsidenten Assad machen die Situation vor Ort unerträglich: „Gab es keine Bildung mehr. Für mich nicht und meine Geschwister nicht. Und wir hatten immer Angst. Da waren viele Männer mit Waffen auf die Straße, heute oder morgen konnten wir alle tot sein“, erinnert sich Saddam Hairiri.
Also entscheiden seine Eltern, das Land mit sechs ihrer Kinder zu verlassen. Nur der älteste Sohn bleibt mit seiner Familie in Syrien. Der Rest der Hairiris wagt die Flucht, doch die ist nicht leicht: „Die Grenzen waren geschlossen. Musste man Geld bezahlen, um raus zu kommen“, so Saddam Hairiri.
Zwei Wochen schläft die Familie im Freien, dann gelingt ihr mit Hilfe von Erpressungsgeld das Entkommen in den Libanon. Hier hat sie Verwandte, die sie erst mal aufnimmt. Die Familienmitglieder bauen sich ein neues Leben auf. Saddam Hairiris jüngere Geschwister gehen in die Schule, er selbst arbeitet in einem Fastfoodrestaurant. Aber zufrieden ist er nicht: „Das Leben dort war schwer. Gab es viele Flüchtlinge.“
Die Hairiris haben Glück: Sie melden sich bei einem Flüchtlingsdienst der Vereinten Nationen und bekommen nach zwei Jahren im Libanon die Chance, nach Deutschland zu fliegen. Saddam Hairiri weiß, dass viele dort hin wollen: „Egal wen man fragt: Wo willst du hin? Alle nach Deutschland. Warum? Weil hier gibt es viel Sicherheit, ist es schön.“
Als die Familie in Deutschland landet, lebt sie zunächst in einem Flüchtlingswohnheim bei Hannover. Es ist ganz neu eingerichtet, die Familie ist dankbar. Doch nicht alle Deutschen heißen die Fremden Willkommen: „Hatten viele Menschen schlechte Gedanken über uns. Kommt das glaube ich von Sprache. Wird besser, wenn man die Sprache besser kann, sich versteht und an deutsche Leben sich gewohnt hat. Aber die haben auch viele schlimme Sache gesagt wegen Ausländer. Aber haben wir das nicht verstanden.“
Die Wohnung im Flüchtlingswohnheim ist auf Dauer für die achtköpfige Familie zu klein. Deswegen darf sie sich unter einigen Orten einen für eine neue Bleibe aussuchen – und entscheidet sich für Wuppertal. Ausschlaggebend war hier auch der Wunsch von Saddam Hairiri: „Habe ich bei Facebook geguckt und Schwebebahn gesehen. Das ist einzigartig auf die Welt. Das gibt es nur in Wuppertal.“
Heute hat Saddam Hairiri eine eigene Wohnung direkt neben der seines Bruders. Hier, direkt neben der Wuppertaler Schwebebahn, ist er seinem Traum vom Schweben immer ganz nah. Der Rest der Familie wohnt nicht weit entfernt, nur 16 Stationen mit der Schwebebahn. Seine Geschwister gehen zur Schule, Saddam Hairiri geht zum Deutschkurs: „Habe ich schon Kurs B2 fertig. Und möchte ich noch mehr lernen, mein deutsche Sprache verbessern.“ Der Deutschkurs hilft ihm nicht nur dabei, später einen Job zu finden. Hier hat Saddam Hairiri auch Freunde gefunden. Manche, wie die aus Griechenland und Bulgarien, sind wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage in ihrer Heimat nach Deutschland gekommen. Andere sind wie Saddam wegen Unterdrückung, Verfolgung oder Krieg geflohen. Die jungen Menschen verbindet die Tatsache, dass sie alle Leid erfahren haben. Darüber sprechen tut Saddam Hairiri aber selten: „Spreche ich nur mit meinem Kollegen aus den Kosovo darüber. Gibt es dort auch Problem mit Waffen, Angriffen, wie Syrien.“
Ein weiterer Punkt ist für Saddam Hairiri sehr wichtig: „Gehe ich zum Fußball. Sage ich den Leuten immer: Wenn man Leute kennenlernen will, geh zum Sport, geh zum Fußball. Das ist die beste Methode.“ Mehrmals die Woche trifft er sich mit Freunden, um zu kicken. Sein Bruder spielt sogar im Verein. Der Fußball verbindet die beiden Männer und gibt ihnen die Möglichkeit, wenigstens einer Leidenschaft aus ihrer Heimat weiter nachzugehen. Saddam Hairiri vermisst Syrien im Moment nicht so oft. Nur im Winter: „Ist es in Deutschland sehr kalt! Brauche ich viele Sachen zum anziehen.“ Aber die Vorteile überwiegen für ihn. Besonders die deutsche Ordnung gefällt ihm; dass hier die Dinge einen geregelten Lauf nehmen. Seine Eltern wollen eines Tages nach Syrien zurück. Saddam Hairiri würde am liebsten in beiden Ländern leben: „Hier in Deutschland arbeiten. Aber Syria ganz oft besuchen.“